Gastbeitrag: Kosovos Wahlkampfsymbolik als Warnzeichen
7. Februar 2025Kosovo ist mit seiner Wohnbevölkerung von nur noch 1,6 Millionen Menschen ein kleines Land. Trotzdem haben die dortigen Parlamentswahlen am 9. Februar 2025 das Potential zu grundlegenden gesamtbalkanischen und sogar internationalen Folgen. Entsprechende Warnzeichen sollte man lieber nicht ignorieren - vor allem nicht in Brüssel, Berlin und den anderen westlichen Hauptstädten. Sie geben Hinweise, in welchem Maß man das kosovarische Staatsprojekt weiterhin von außen mitsteuern kann - oder eben nicht. Welche gesellschaftliche Basis für den von der EU geleiteten bilateralen Dialog Kosovos mit Serbien besteht - auch dazu bietet der Wahlkampf eindrückliche Bilder. Angesichts der tiefen internationalen Umbrüche geht dies auch Europa als Ganzes etwas an.
Als Wegweiser sollen hier die ganz verschiedenen Flaggen und nationalen Symbole dienen, die die kosovarischen Parteien den Wahlberechtigten präsentieren. Den größten Teil der Flaggenschau verdient dank ihrer Stärke die Levizja Vetevendosje! (Bewegung für Selbstbestimmung!, LVV). Die Partei führt die aktuelle Regierung an und stellt den Ministerpräsidenten, Albin Kurti. Die Umfragen lassen erwarten, dass sie mitsamt der von ihr angeführten Listenverbindung wieder weit vorne liegen wird (2021, bei der letzten Wahl, erreichte sie 50,3 Prozent).
Die Wahlkampfauftritte der LVV sind ganz auf Kurti zugeschnitten. Die Uraufführung fand Mitte Januar in der Stadt Gjakova statt: In einer vollen Großhalle ließen Teilnehmende auf der Tribüne albanische Fahnen wehen, unter dem gigantischen Wahlslogan stand auf der Bühne eine weitere. Von der nach EU-Muster gestalteten Staatsflagge dagegen keine Spur.
Bald nach Einzug des Ministerpräsidenten folgt das gemeinschaftliche Singen der albanischen Nationalhymne. Die kosovarische würde zugegebenermaßen nur wenig dafür taugen, weil sie genauso wie Flagge und Wappen gemäß der Verfassung von 2008 (und gemäß den diese prägenden äußeren Vorgaben) den konstitutionell ebenso vorgeschriebenen multiethnischen Charakter des Staates widerspiegeln soll.
Souveränität auf dem ganzen Territorium
Das konkrete Resultat bedeutet für die Hymne: Es gibt eine Melodie, aber keinen Text. Umso leichter mag der Verzicht auf sie fallen. "Kosovarisches" zeigen die LVV-Veranstaltungen nur durch populäre Schlagereinlagen. Diese patriotischen Lieder verweisen im Gehalt aber gleich wieder ins "Gesamtalbanische".
Die meisten Passagen von Albin Kurtis Reden haben andere Bezüge: Sie preisen die Bekämpfung der Korruption und offerieren eine Art sozialdemokratisches Fortschritts- und Gerechtigkeitsnarrativ. Die nationalpolitische Rahmenhandlung kommt dagegen durch die beschriebene Inszenierung zur Geltung, so wie im besagten Wahlslogan, der da lautet "Cep me cep" (in etwa: "Bis zum letzten Winkel"). Jeder und jede versteht vor Ort das Gemeinte: Wie in den vergangenen Jahren ist und bleibt das Ziel der LVV, die kosovarische Souveränität auf dem ganzen Territorium herzustellen. Die vergebliche Obstruktion durch Serbien, das Kosovo weiterhin für sich beansprucht, hat man dabei ebenso eingedämmt wie die machtlosen Wünsche der USA und der EU, Kosovo und eben dieses Serbien mögen sich bitte über alles dialogisch verständigen.
Dank an die USA
Ikonographisch komplexer als bei der "rein albanischen" LVV sind die Auftritte der größten Oppositionspartei, der Demokratischen Partei Kosovos (PDK). Sie kommt (wie die eher regionale Allianz für die Zukunft Kosovos [AAK]) aus der Tradition der Guerillabewegung der 1990er Jahre, also der Befreiungsarmee Kosovos UCK. Die albanische Flagge hat hier Raum, jedoch im ungefähr gleichen Umfang auch die (in der Symbolik allerdings ebenfalls "albanische") Fahne der UCK, dazu die US-Flagge und die amtliche. In der ikonographischen Summe gedeutet: Der Staat ist albanisch geprägt, "wir" haben ihn erkämpft und das Land befreit. Und: Westlicherseits zählt nicht die EU, wohl aber zählen die USA, denen man für den Kriegseinsatz von 1999 Dank schuldet und mit denen man (anders als Albin Kurti) keinesfalls über Kreuz geraten will.
Dominant staatstragend bebildert sich nur die Demokratische Liga Kosovos (LDK). Sie ist die Fortsetzung der einstigen kosovo-albanischen Sammelpartei des gegen die serbische Unterdrückung gerichteten Parallelstaats der 1990er Jahre, der von Ibrahim Rugova angeführt wurde. Breit gezeigt werden die Staatsflagge, die Parteifahne und die Flagge der 1990er. In ihr enthalten ist die damalige Abwandlung des albanischen Doppeladlers. Dieses Emblem ist dank Verwendung im Wappensiegel des kosovarischen Präsidentenamtes zugleich der einzige Symbolpunkt, an dem selbst der heutige Staat offen Bezug nimmt auf seine zu über 90 Prozent albanische Bevölkerung.
Keine Unterstützung für "Einigungszwang"
Keinen Bezug auf Kosovo als Staat gibt es dagegen bei den Parteien der serbischen Minderheit. Sie umfasst weniger als fünf Prozent der Bevölkerung, so dass selbst die größte der Parteien, die mit der regierenden Serbischen Fortschrittspartei (SNS) in Serbien aufs engste verbundenen Serbische Liste (Srpska lista), zu klein ist für größere Kundgebungen. Wahlspots, Banner und Plakate aber gibt es. Ikonographisch zeigen sie nur Dinge, die als "rein serbisch" zu verstehen sind.
Was aber ist die Botschaft für die westlichen Akteure, die Kosovos Staatswerdung seit 1999 de facto unterstützen? Wohl vor allem dies: Kosovo wird bei seiner Mehrheit ebenso wie bei den Minderheiten als Nationalstaatsprojekt verstanden, wie nahezu alle anderen Staaten Europas auch. Der westliche Versuch, das Land dennoch als multiethnisch auszugestalten und seine symbolische Anbindung an die Bevölkerungsmehrheit als eine Art faktisches Staatsvolk einzudämmen, besitzt dort keine Überzeugungskraft. Und wer Kosovos staatliche Stabilität fördern will, sollte die demokratische Unterstützung für diese nicht durch Einigungszwang mit einem Nachbarland unterminieren, das Kosovos Beseitigung als Verfassungsziel versteht. Sonst ist eine weitere Festigung des regierenden nationalpolitischen Populismus kaum zu vermeiden - mitsamt verhärteter Konfrontationshaltung nicht nur gegenüber Serbien, sondern auch gegenüber EU-Empfehlungen und -Vorgaben, und mitsamt allem damit verbundenen Destabilisierungspotential.
Dr. Konrad Clewing, Jahrgang 1967, ist Wissenschaftler am Leibniz-Institut für Ost- und Südosteuropaforschung (Regensburg). Er ist Historiker mit Schwerpunkt südosteuropäische Herrschaft und Staatlichkeit seit dem 19. Jahrhundert und Experte für den albanischsprachigen Raum. Die Geschichte der "Kosovofrage" mitsamt der Entwicklung der dortigen Identitäten und staatlichen Strukturen zählt zu seinen besonderen Expertisen.